Heutzutage spielt die bedürfnisorientierte Erziehung für viele Eltern eine wichtige Rolle. Gewaltfreie Kommunikation ist dabei ebenso ein Stichwort wie der bindungsorientierte Umgang. Doch was genau versteckt sich hinter diesen Begriffen? Und wie lassen sie sich in der Praxis umsetzen? Um diese Fragen zu beantworten, hilft ein Blick auf die Regeln für bedürfnisorientierte Erziehung.
Schon gewusst? Die Begriffe bedürfnisorientiert, bindungsorientiert und Attachment Parenting werden meist synonym verwendet. Sie alle beschreiben eine Erziehungsform, bei der die Bedürfnisse des Kindes auf Augenhöhe mit den eigenen Bedürfnissen betrachtet werden. Zudem ist der Aufbau einer starken Bindung zwischen Eltern und Kind essenziell.
Die nachfolgend erklärten Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung sind dabei nicht als Gesetze oder Pflichten zu verstehen. Anstelle von festen Regeln sind es eher Leitlinien und Prinzipien, die als Hilfestellung dienen. Sie sollen euch dabei unterstützen, eine liebevolle und respektvolle Beziehung zu euren Kindern aufzubauen. Du darfst die Regeln natürlich so anpassen, übernehmen oder ändern, wie sie für dich persönlich am besten passen.
Welche insgesamt zehn Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung es gibt, siehst du auf dem nachfolgenden Bild. Die jeweiligen Regeln stellen wir danach ausführlich vor.
Bedürfnisorientierte Erziehung: 5 Regeln für Babys
Bei der bedürfnisorientierten Erziehung für Babys passt das Wort bindungsorientiert tatsächlich besser. Denn die Erfüllung der klassischen Baby-Bedürfnisse wie Nahrung und Schlaf sind in anderen Erziehungsformen ebenso gegeben. Der Unterschied liegt vielmehr darin, dass eine enge und liebevolle Bindung zum Baby aufgebaut werden soll.
Zudem werden Eltern darauf sensibilisiert, die Bedürfnisse des Babys frühzeitig zu erkennen. Im Idealfall werden die Bedürfnisse erkannt und bereits erfüllt, bevor das Baby zu weinen oder zu schreiben beginnt. Denn weinen bzw. schreien ist in der Regel das letzte Bedürfnis-Signal, das Babys zeigen.
Um eine enge Bindung zum Baby zu erreichen, sieht die bedürfnisorientierte Erziehung folgende Regeln vor:
- Bonding (enger Körperkontakt, am besten Haut auf Haut) möglichst direkt nach der Geburt
- Gemeinsames schlafen von Baby und Eltern im Familienbett (alternativ im Beistellbett)
- Stillen, wann immer das Baby das Bedürfnis danach hat (nicht ausschließlich zur Nahrungsaufnahme, sondern auch, um das Bedürfnis nach Nähe oder Trost zu erfüllen)
- Häufiges tragen des Babys auf dem Arm oder in einer Babytrage, um viel Körperkontakt zu gewährleisten (wir empfehlen die Babytrage von Marsupi sowie die Ergobaby Omni 360)
- Baby-Bedürfnisse erkennen, bevor es zum Schreien kommt
Auf die fünf Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung für Babys gehen wir nachfolgend detaillierter ein. Im Englischen sind diese fünf Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung übrigens auch als fünf B's bekannt: Birth Bonding, Breastfeeding (stillen), Babywearing (tragen), Bed Sharing (Familienbett) sowie Belief in Baby’s Cries (Bedürfnisse erkennen).
#1: Bonding
Egal, ob dein Baby vaginal oder per Kaiserschnitt geboren wird: Eine wichtige Regel bei der bedürfnisorientierten Erziehung ist das zeitnahe und intensive Bonding möglichst direkt nach der Geburt. Dazu wird das Baby der Mutter umgehend nach der Geburt auf die Brust gelegt. Sowohl die Mutter als auch das Baby sind dabei nackt, sodass ein Haut-an-Haut-Kontakt besteht.
Das Neugeborene erhält damit sofort die Körperwärme der Mutter, kann ihren Herzschlag spüren und durch das Anlegen an der Brust auch den Geruch des Fruchtwassers erfahren. Die Natur hat die Brustwarzen der Mutter so ausgestattet, dass sie wie Fruchtwasser riechen, um dem Baby das Finden der Brust als Nahrungsquelle zu erleichtern. Für das Baby riecht die Brust also wie sein Zuhause, das es monatelang im Mutterleib kennengelernt hat. In der für das Neugeborene vollkommen neuen Situation erlebt es so einen Teil seiner gewohnten Umgebung und erfährt einen sanfteren Start in die Welt.
Bei Hausgeburten oder in Geburtshäusern wird in der Regel ohnehin hoher Wert aufs Bonding direkt nach der Geburt gelegt. Aus unserer eigenen Erfahrung steht das Bonding aber auch immer mehr in den Kreißsälen von Krankenhäusern im Fokus. Bei unseren zwei Kaiserschnitt-Geburten (ohne Vollnarkose) war das Bonding schon wenige Sekunden nach der Geburt möglich. Insbesondere, wenn du der Hebamme vorab sagst, dass du dir ein umgehendes Bonding wünschst, kann dieser Wunsch in der Regel erfüllt werden.
Bonding nach Notkaiserschnitten und Betreuung auf der Intensivstation
Sofern es zu einem Notkaiserschnitt kommt, muss dieser meist in Vollnarkose erfolgen. In diesem Fall kann die Mutter direkt nach der Geburt kein Bonding durchführen. Auch der Vater darf meist nicht mit in den OP, da die Zeitnot dies nicht mehr erlaubt. Bis die Mutter aus der Narkose aufwacht, kann der Vater zunächst das Bonding mit Haut-an-Haut-Kontakt durchführen, sobald das Baby aus dem OP zum Vater gebracht wird. Dies ist nach den Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung nicht der Idealfall, aber unter den gegebenen Umständen das bestmögliche Vorgehen.
Sofern das Baby eine intensivmedizinische Betreuung nach der Geburt benötigt, ist ein Bonding leider nicht umgehend möglich. In diesem Fall könnt ihr das Bonding durchführen, sobald der Gesundheitszustand des Babys es zulässt. Bedenke dabei immer, dass die Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung eine Hilfestellung sind und den Idealfall beschreiben. Falls ihr hiervon abweichen müsst, ist dies in Ordnung. Es macht euch keinesfalls zu schlechten Eltern und sollte niemals ein schlechtes Gewissen hervorrufen. Ihr seid die besten Eltern für euer Baby und tut, was unter den gegebenen Umständen das Beste ist.
#2: Gemeinsames schlafen
In Hinblick auf den Babyschlaf gehen die Philosophien stärker auseinander. Während ihr im Krankenhaus meist Flyer erhaltet, auf denen das Schlafen im eigenen Babybett als Empfehlung genannt wird, setzt die bedürfnisorientierte Erziehung auf das Gegenteil. Nämlich den Babyschlaf gemeinsam mit den Eltern im selben Bett. Meist wird dies unter den Stichworten „Familienbett“ oder „Co-Sleeping“ in den Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung aufgeführt.
Das Familienbett stärkt das Bedürfnis nach Nähe und Sicherheit für das Baby. Oft wird der Babyschlaf dadurch stabiler und länger. Wenn das Baby nachts aufwacht, ist es zudem einfach möglich, es liegend zu stillen. Sowohl die Mutter als auch das Baby müssen ihre Schlafposition entweder gar nicht oder nur geringfügig ändern. Dies ermöglicht sowohl für die Mutter als auch fürs Baby oft ein schnelles wieder einschlafen.
Eigene Erfahrung: Auch unser Baby schläft im Familienbett und wird nachts nach Bedarf im Liegen gestillt. Sofern es nicht zwingend erforderlich ist, wechseln wir nachts keine Windel. Um ein auslaufen der Windel zu verhindern, trägt unser Baby in der Nacht meist eine Windelgröße größer. Die größere, saugstärkere Windel hält in der Regel die gesamte Nacht.
Ein weiterer Vorteil des Familienbetts ist oft die höhere Wachsamkeit. Als Mutter oder Vater bemerkst du oft schneller, wenn dein Baby aufwacht. Sobald dein Baby unruhig wird und damit meist Hunger signalisiert, kannst du als Mutter mit dem Stillen beginnen. Meist kommt es so gar nicht dazu, dass das Baby nachts schreit, da das Bedürfnis nach Nahrung bereits vorher erfüllt wurde. Viele Eltern merken deutlich früher, dass ihr Baby wach geworden ist, wenn sie direkt daneben liegen. Sofern das Baby im eigenen Bett schläft, werden Eltern meist erst durchs Weinen bzw. Schreien des Babys wach.
Risiken des Familienbetts
Auch wenn das Familienbett zu den Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung gehört, ist es durchaus umstritten. Kritiker geben zu bedenken, dass ein erhöhtes Risiko für Erstickung oder versehentliches Erdrücken des Babys besteht. Hierbei kommt es auch darauf an, ob du dich selbst im Schlaf drehst. Tust du dies nicht, entfällt dieses Risiko nahezu vollständig. Sofern du dich häufig drehst, solltest du für dich abwägen, ob dir das Familienbett sicher genug erscheint. Gegebenenfalls kann ein Beistellbett für euch die bessere Option sein.
Ein günstiges Beistellbett, das sich auch zum Reisen eignet, ist beispielsweise das AnzeigeKESSER® Zustellbett Hubi 3in1.
#3: Stillen nach Bedarf
Wie der Name schon vermuten lässt, geschieht das Stillen nach Bedarf entsprechend der Bedürfnisse des Babys. Anstatt einem strengen Zeitplan zu folgen, wird das Baby immer dann gestillt, wenn es dies möchte. Dieser Ansatz basiert auf dem Verständnis, dass Babys nicht nur aus Hunger, sondern auch aus anderen Gründen wie Durst, Trost oder Nähe an der Brust nuckeln möchten. Da das Stillen nach Bedarf die elementaren Bedürfnisse von Babys erfüllt, gehört es zu den wichtigsten Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung.
Wenn das Baby häufig und nach Bedarf gestillt wird, kann dies zudem die Milchproduktion der Mutter anregen und sicherstellen, dass das Baby ausreichend ernährt wird. Auf diese Weise erhält das Baby die benötigten Nährstoffe und Antikörper, die für sein Wachstum und seine Entwicklung wichtig sind. Die Nähe und der Hautkontakt beim Stillen fördern darüber hinaus die Bindung und das Vertrauen vom Baby zur Mutter.
Weiterhin lernen Babys, die nach Bedarf gestillt werden, ihre Hunger- und Sättigungsgefühle zu regulieren, was langfristig zu einem gesunden Essverhalten beitragen kann.
Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung ohne zu stillen
Die bedürfnisorientierte Erziehung betont die Bedeutung von Hautkontakt und Nähe. Dies gilt unabhängig davon, ob das Baby gestillt oder mit der Flasche gefüttert wird. Haut-zu-Haut-Kontakt und liebevolles Halten während der Fütterung helfen dabei, eine sichere Bindung zwischen euch als Eltern und dem Baby aufzubauen.
Falls du als Mutter nicht stillen kannst oder möchtest, ist eine bedürfnisorientierte Erziehung natürlich dennoch möglich. Aus bindungsorientierter Sicht ist es dann besonders wichtig, dass ihr beim Geben des Fläschchens auf einen engen Körperkontakt achtet. Er soll eine starke Bindung sowie die emotionale Sicherheit fürs Baby fördern. Haltet euer Baby also am besten immer im Arm, während es trinkt. Sofern die Zeit und der Ort es zulassen, könnt ihr dies auch textilfrei tun.
Zudem ist es auch bei der Flaschenfütterung wichtig, auf die Bedürfnisse des Babys einzugehen und achtsam zu füttern. Achtet auf entsprechende Hungersignale wie Schmatzgeräusche, Finger in den Mund nehmen oder zunehmende Unruhe. So könnt ihr die Flasche geben, bevor euer Baby das Hungersignal durch weinen oder schreien verstärken muss (mehr dazu unter #5). Auch der Blickkontakt zum Baby ist während des Fütterns hilfreich, um eine enge Verbindung herzustellen. Seid beim Füttern zu 100% mit eurer Aufmerksamkeit beim Baby. Damit dies gelingt, legt ihr das Smartphone am besten außer Reichweite. 😉
#4: Häufiges Tragen des Babys
Ebenfalls zu den Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung gehört, dass Eltern ihr Baby häufig tragen. Üblicherweise verspüren Babys die natürlichen Bedürfnisse nach Nähe, Sicherheit und Geborgenheit. Durch häufiges Tragen können diese Bedürfnisse erfüllt werden.
Babys fühlen sich in der Regel am wohlsten, wenn sie nah bei euch als Eltern sind. Das Tragen ermöglicht es eurem Baby, eure Nähe und euren Herzschlag zu spüren, was ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Wenn dein Baby unruhig oder unzufrieden ist, sucht es oft nach Trost. Das Tragen ermöglicht es euch, schnell auf die Bedürfnisse eures Babys zu reagieren und es zu beruhigen. In euren Armen fühlt sich euer Baby sicher und beschützt.
Das Tragen fördert somit eine enge Bindung zwischen euch und eurem Baby. Zudem hilft das Tragen auch zur Regulation der Körperwärme und Atmung. Beim Tragen passt sich die Körpertemperatur eures Babys meist an eure eigene Körpertemperatur an. Dies trägt dazu bei, die Körperwärme zu regulieren und euer Baby warmzuhalten. Darüber hinaus kann die vertikale Position beim Tragen auch die Atmung eures Babys unterstützen.
Im Familienalltag gelingt das häufige Tragen zum einen, indem ihr euer Baby auf dem Arm tragt. Da dies jedoch anstrengend ist und auf Dauer oft zu Rückenschmerzen und Verspannungen führt, ist meist eine Babytrage sinnvoll. Sofern ihr sie auch Zuhause nutzt, habt ihr die Hände frei und könnt verschiedene Aufgaben im Haushalt sogar während des Tragens erledigen.
Welche Babytrage eignet sich, um die Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung zu erfüllen?
Babytragen gibt es in verschiedenen Varianten. Für den Anfang nutzen viele Eltern Tragetücher, die als besonders anpassungsfähig und vielseitig gelten. Die Tücher werden individuell gebunden und passen sich sowohl dem Körper des Babys als auch deinem eigenen Körper ideal an. Sie ermöglichen eine gute Gewichtsverteilung, was deinen eigenen Körper schont. Zudem sind Tragetücher meist kostengünstig erhältlich.
Da sie jedes Mal aufs Neue gebunden werden müssen, empfinden viele Eltern sie jedoch als umständlich. Daher gewinnen Babytragen zunehmend an Beliebtheit. Sie sind schnell und einfach in der Anwendung und bieten bereits vorgefertigte Tragepositionen, die mithilfe einiger Einstellungen an dich und dein Baby angepasst werden.
Auch wir sind große Fans von Babytragen. Für die ersten Babymonate ist die kostengünstige AnzeigeMarsupi Trage aus unserer Erfahrung eine gute Wahl.
Sofern du bereits weißt, dass du dein Baby lange tragen möchtest, eignet sich von Beginn an eine Baby- und Kleinkindtrage. Wenn dein Baby etwas älter wird, kannst du es beispielsweise auch auf dem Rücken oder mit dem Blick nach vorn gerichtet tragen. Wir selbst nutzen die verschiedenen Tragepositionen besonders gern.
Eine Trage, die sich bis zu einem Gewicht von 20 Kilogramm nutzen lässt und vier unterschiedliche Tragepositionen ermöglicht, ist die AnzeigeErgobaby Omni 360. Wir haben sie seit Anfang 2020 in Gebrauch und sind mehr als zufrieden.
#5: Baby-Bedürfnisse frühzeitig erkennen
Oft ist es so, dass Babys ihre Bedürfnisse wie Hunger oder Schlaf bereits 10 bis 15 Minuten lang signalisieren, bevor das Schreien beginnt. Der Schrei ist für das Baby meist das letzte Mittel, um das Bedürfnis dann lautstark zu kommunizieren. Zuvor äußern Babys ihre Bedürfnisse bereits durch verschiedene Gestiken.
Im Falle von Hunger sind typische Signale eine vermehrte Unruhe, Fäustchen in den Mund stecken, Schmatzgeräusche mit dem Mund sowie das Suchen der Brust durch Hin- und Herbewegen des Köpfchens. Erst wenn alle diese Signale nicht erkannt wurden, beginnt das Baby meist zu weinen oder zu schreien.
Typische Signale dafür, dass das Baby müde ist, sind beispielsweise Augen reiben, gähnen, vermehrte Unruhe und eine erhöhte Reizbarkeit. In diesem Fall reagiert das Baby vorwiegend gereizt auf Dinge, die sonst keine Reaktion hervorrufen. Auch beim Bedürfnis nach Schlaf ist das Weinen bzw. Schreien meist das letzte Signal, was Babys zeigen.
5 Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung für Kinder
Sobald dein Kind älter wird, verlieren einige der Regeln für die bedürfnisorientierte Erziehung bei Babys ihren Anwendungszweck. Zu den kindlichen Grundbedürfnissen wie Nahrung, Schlaf, Nähe, Sicherheit, Trost und Aufmerksamkeit kommen einige neue hinzu. Das wichtigste „neue“ Bedürfnis ist die Selbstbestimmung (Autonomie).
Die sogenannte Autonomiephase beginnt je nach Kind meist zwischen 1,5 und 3 Jahren. Hierbei beginnt dein Kind damit, seine Unabhängigkeit zu entwickeln. Während der Autonomiephase zeigen Kinder oft ein starkes Bedürfnis nach Selbstständigkeit und wollen Dinge wie Anziehen, Essen oder Spielen alleine tun. Sie beginnen auch, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und ihre Grenzen zu testen. Da Kinder sich oft zwischen dem Wunsch nach Selbstständigkeit und der Abhängigkeit von den Eltern hin- und hergerissen fühlen, kann diese Phase besonders stark mit Wutausbrüchen einhergehen.
Für die meisten Kinder sind die wichtigsten Bedürfnisse ab dem Kleinkindalter Aufmerksamkeit, Selbstbestimmung sowie Nähe. Je nach Alter und Charakter des Kindes können die Bedürfnisse unterschiedlich stark sein.
Um dein Kind bestmöglich zu begleiten, sieht die bedürfnisorientierte Erziehung folgende Regeln vor:
- Respekt vor den Bedürfnissen des Kindes (dies bedeutet insbesondere, die Bedürfnisse ernst zu nehmen)
- Förderung der Selbstständigkeit, in dem Kinder eigene Entscheidungen treffen können und ermutigt werden, ihre eigenen Interessen zu verfolgen
- Verzicht auf Bestrafung und Belohnung
- Gewaltfreie Kommunikation (u.a. bedeutet dies, ohne Schuldzuweisungen zu kommunizieren und in Ich-Botschaften zu sprechen)
- Empathie und Verständnis, in dem Eltern sich die Zeit zum Zuhören nehmen und die Welt aus der Sicht ihres Kindes sehen
Um die einzelnen Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung für Kinder besser zu verstehen, gehen wir hierauf nachfolgend genauer ein. Zusätzlich empfehlen wir dir, unseren Blogbeitrag „Bedürfnisorientierte Erziehung an 10 Beispielen erklärt“ zu lesen.
#1: Respekt vor den Bedürfnissen des Kindes
Um diese Regel der bedürfnisorientierten Erziehung zu verstehen, möchten wir ein Beispiel nutzen. Stell dir vor, dein Kind fällt hin, hat sich wehgetan und schreit. Aus deiner Sicht war es möglicherweise nur ein kleiner Sturz und du findest das laute Schreien und Weinen deshalb übertrieben. Viele Eltern kennen aus ihrer eigenen Kindheit nun Sätze wie „Ist nicht so schlimm“, „Stell dich nicht so an“ oder „Indianer kennen keinen Schmerz“. Sofern du solche oder ähnliche Sätze in deiner eigenen Kindheit erfahren hast, nutzt du sie bei deinen eigenen Kindern oft selbst. Dabei geschieht die Anwendung oft sogar unbewusst.
Doch erfüllst du damit das Bedürfnis deines Kindes? Es hat sich verletzt oder vielleicht auch „nur“ erschrocken. In jedem Fall hat es nun das Bedürfnis nach Trost. Ein respektvoller, bedürfnisorientierter Umgang sieht daher vor, dass du dein Kind entsprechend tröstest. Ihm Nähe gibst, es auf den Arm oder auf den Schoß nimmst, festhältst und für es da bist. Dass du das Weinen deines Kindes annimmst und akzeptierst.
Letztlich kannst du dich hierbei fragen, welchen Umgang du dir für dich selbst wünschen würdest. Möchtest du, dass deine Schmerzen ernst genommen werden? Hilft es dir, wenn dich jemand während der Schmerzen liebevoll begleitet, bis sie vorbei sind? Dann solltest du es genauso auch mit deinem Kind machen.
Die Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung sehen dabei vor, dass du alle Bedürfnisse deines Kindes ernst nimmst. Seien es körperliche Bedürfnisse wie Hunger oder Schlaf oder emotionale Bedürfnisse wie Trost, Aufmerksamkeit oder Selbstbestimmung.
Wenn die Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung im Alltag herausfordernd werden
Speziell das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit wird für viele Eltern zur Herausforderung. Es kann im Alltag anstrengend sein und manchmal fast so wirken, als wolle dein Kind dich ärgern. Doch genau das will es nicht. Aufmerksamkeit zu bekommen, ist für Kinder vielmehr überlebenswichtig. Je kleiner dein Kind ist, desto wichtiger ist die Aufmerksamkeit der Eltern für sein Überleben.
Tipp: Falls dich die Bedürfnisse deines Kindes überfordern, liegt dies meist daran, dass du zu viel Stress hast. Versuche, deine Termine zu reduzieren, Unwichtiges wegzulassen und damit mehr Ruhe in den Familienalltag zu bekommen. Oft hilft es, wenn du den Haushalt weniger perfekt sein lässt. Gegebenenfalls kannst du über Hilfe durch eine Reinigungskraft oder einen Saugroboter nachdenken.
#2: Förderung der Selbstständigkeit
Die Förderung der Selbstständigkeit ist eine zentrale Regel in der bedürfnisorientierten Erziehung. Dein Kind erhält hierbei die Möglichkeit, Aufgaben und Herausforderungen eigenständig zu bewältigen. Es kann Dinge selbst ausprobieren und ggf. Fehler machen, um daraus zu lernen. Dadurch kann dein Kind die Konsequenzen seines Handelns erleben und lernt, Verantwortung für seine Entscheidungen zu übernehmen.
Im Familienalltag kann dies z.B. bedeuten, dass dein Kind beim Kochen oder Backen unterstützen kann. Dabei könnte es beispielsweise ein Ei selbst aufschlagen, auch wenn vielleicht die Hälfte daneben geht oder ihr danach einige Eierschalen aufsammeln müsst. Auf dem Spielplatz kannst du dein Kind viel ausprobieren lassen und versuchen, die Sorge vor einer möglichen Verletzung zurückzustellen. Vorausgesetzt natürlich, dein Kind möchte neue Dinge ausprobieren und signalisiert, dass es dabei keine Hilfe benötigt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist es, deinem Kind Raum zu geben, seine eigenen Interessen und Leidenschaften zu verfolgen. Du kannst dies unterstützen, indem dein Kind Zugang zu verschiedenen Materialien, Büchern und Aktivitäten erhält, die seinen Interessen entsprechen. Zudem kannst du dein Kind ermutigen, dass es seine Kreativität entfaltet und seine eigenen Ideen entwickelt.
Insgesamt geht es bei der Regel zur Förderung der Selbstständigkeit in der bedürfnisorientierten Erziehung darum, deinem Kind die Werkzeuge und das Vertrauen zu geben, die es benötigt, um sein volles Potenzial zu entfalten und zu einem selbstbewussten und eigenständigen Individuum heranzuwachsen. Indem du dein Kind liebevoll begleitest und unterstützt, schaffst du eine Atmosphäre, in der Selbstvertrauen, Autonomie und Respekt gefördert werden.
#3: Verzicht auf Belohnung und Bestrafung
Bei dieser Regel der bedürfnisorientierten Erziehung gilt der Schlüsselsatz: Kooperation statt Kontrolle. Im Falle eines Konflikts sollte gemeinsam an einer Lösung gearbeitet werden, statt eine Strafe auszusprechen. Der bedürfnisorientierte Ansatz sieht Bestrafungen als Form der elterlichen Machtausübung. Die Abhängigkeit des Kindes von den Eltern wird im Falle einer Bestrafung ausgenutzt. Es erfolgt eine hierarchische Zurechtweisung, die negative Gefühle beim Kind auslöst. Für eine enge, vertrauensvolle Bindung vom Kind zu den Eltern ist dies kontraproduktiv.
Um auf Belohnung und Bestrafung zu verzichten, schauen wir uns zwei Beispiele an.
Regel der bedürfnisorientierten Erziehung: Verzicht auf Belohnung
„Wenn du deine Hausaufgaben jetzt machst, darfst du danach ein Eis essen.“ Dies wäre eine typische Belohnung, wie du sie als Kind möglicherweise selbst erfahren hast. Meist funktioniert die Belohnung und löst beim Kind sogar etwas Positives aus. Dennoch ist sie auf Dauer nicht zielführend, da du dein Kind auf gewisse Weise bestichst, um das zu tun, was du möchtest.
Kooperation könnte stattdessen so aussehen: „Mir ist wichtig, dass du deine Hausaufgaben jetzt machst. Ich verstehe, dass du darauf gerade wenig Lust hast und lieber spielen würdest. Gleichzeitig ist es wichtig, dass du in der Schule den Anschluss nicht verlierst. Die Hausaufgaben sorgen dafür, dass du im Unterricht weiterhin gut mitkommst und für den nächsten Test gut vorbereitet bist.“
Auf diese Weise erklärst du deinem Kind, warum die Hausaufgaben wichtig sind. Du sprichst zudem in Ich-Botschaften (mir ist wichtig / ich verstehe) und drückst aus, dass du Verständnis für die Gefühle und Bedürfnisse deines Kindes hast („Ich verstehe, dass du darauf gerade wenig Lust hast und lieber spielen würdest“). So fühlt sich dein Kind von dir abgeholt, verstanden und ernst genommen. Danach erklärst du, warum die Hausaufgaben für dein Kind wichtig sind und welche Vorteile es hat, sie zu machen. Dabei verzichtest du bewusst auf das Wort „aber“, um das Vorangegangene nicht kleinzureden. Das Wort „gleichzeitig“ sorgt für eine gleiche Gewichtung.
Regel der bedürfnisorientierten Erziehung: Verzicht auf Bestrafung
„Wenn du deine Zähne jetzt nicht putzt, sage ich das Treffen mit deiner Freundin gleich ab.“ Diese oder ähnliche Androhungen einer Strafe sorgen bei vielen Kindern dafür, dass sie widerwillig mitmachen und sich die Zähne putzen lassen. Allerdings hat das Zähneputzen logisch nichts damit zu tun, ob man eine Freundin treffen kann. Eine sinnhafte Wenn-Dann-Formulierung wäre beispielsweise: „Wenn du deine Zähne nicht putzt, entstehen Löcher und Karies, die auf Dauer zu Schmerzen führen.“
Wenn-Dann-Formulierungen stellen also nicht immer eine Drohung dar und können durchaus sinnvoll sein, um Kindern eine Konsequenz zu erläutern. Sofern der Dann-Satz jedoch keine Konsequenz, sondern eine Bestrafung darstellt, handelt es sich um ein Mittel, um dein Kind zu kontrollieren. Durch den angedrohten Entzug einer Sache, die dein Kind gerne mag, wird es aus Angst vermutlich mitmachen.
Die Angst fühlt sich für dein Kind jedoch negativ an. Zudem ist es kein Ausdruck einer guten Bindung zueinander, sondern eine Ausübung von Macht und Hierarchie. Wenn du für dich selbst überlegst, wie sich das anfühlt, wirst du vermutlich schnell ein ungutes Gefühl bekommen.
Um dein Kind ohne Androhung einer Strafe zum Zähneputzen zu bewegen, könntest du z.B. das sagen: „Mir ist wichtig, dass wir jetzt die Zähne putzen. Ich weiß, wie gerne du leckere Dinge isst. Deshalb möchte ich, dass du sie auch weiterhin genießen kannst. Dafür brauchen wir gesunde Zähne. Ich verstehe, dass du keine Lust dazu hast. Ich selbst mag andere Dinge auch lieber als das Zähneputzen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass wir unsere Zähne pflegen. Nur so bleiben sie gesund.“
#4: Gewaltfreie Kommunikation
Eine weitere Regel der bedürfnisorientierten Erziehung ist die gewaltfreie Kommunikation (GfK). Hierunter versteht man eine Kommunikationsweise, die Respekt, Einfühlungsvermögen und Verständnis für die Bedürfnisse und Gefühle aller Beteiligten fördert. Damit dies gelingt, werden Urteile, Kritik und Schuldzuweisungen vermieden. Stattdessen wird viel in Ich-Botschaften gesprochen, um eigene Wünsche, Bedürfnisse und Wahrnehmungen auszudrücken.
Nehmen wir das Beispiel des Zimmeraufräumens. Du selbst hast in deiner Kindheit womöglich Folgendes gehört: „Wie sieht es denn hier schon wieder aus? Was für ein Chaos hast du schon wieder veranstaltet! Räum sofort dein Zimmer auf! Ich sage das jetzt zum letzten Mal.“
Diese Formulierung ist geprägt von Verurteilung und Schuldzuweisung. Das Kind bekommt das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Darauf folgt ein hierarchischer Befehl, bei dem die Eltern darüber bestimmen, dass das Kind nun aufräumen muss. Die Bereitschaft zur Kooperation ist nach dieser Kommunikation meist gering.
Nach der gewaltfreien Kommunikation könnte eine Formulierung beispielsweise so aussehen: „Ich wünsche mir, dass wir dein Zimmer gleich aufräumen. Mir ist wichtig, dass es hier ordentlich ist, bevor du ins Bett gehst, damit du im Dunkeln nicht versehentlich über etwas stolperst und dich womöglich verletzt. Außerdem sollte der Saugroboter hier morgen sauber machen können, ohne dass etwas kaputtgeht. Bitte lass uns gemeinsam überlegen, wie wir dein Zimmer aufräumen können. Möchtest du noch zwei Runden mit der Carrerabahn fahren und danach beginnen wir?“
Ein wesentlicher Bestandteil der gewaltfreien Kommunikation ist zudem auch der Verzicht auf Belohnungen und Bestrafung (siehe #3).
#5: Empathie und Verständnis
Auch wenn Empathie und Verständnis mit den anderen Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung bereits einhergehen, gebührt ihnen der Raum als eigene Regel. Denn sowohl Verständnis als auch Empathie gehören zu den Grundpfeilern einer starken Eltern-Kind-Bindung. Doch wie zeigen sie sich in der Praxis?
Nehmen wir hier zunächst das Beispiel der gemeinsamen Problemlösung. Nehmen wir an, dein Kind hat Angst vor dem Dunkeln und möchte nicht alleine im Zimmer schlafen. Als Eltern zeigt ihr Verständnis, indem ihr die Ängste eures Kindes ernst nehmt und gemeinsam nach Lösungen sucht. Bietet Unterstützung an und ermutigt euer Kind, seine eigenen Ideen zur Bewältigung seiner Ängste beizutragen, anstatt es zu zwingen oder zu überreden, allein zu schlafen.
Sofern euer Kind keine Lösung sieht, könnt ihr selbst Ideen geben. Es könnte z.B. eine Nachtlampe im Zimmer geben, die etwas Helligkeit während des Schlafens bringt. Oder einer von euch könnte gemeinsam mit dem Kind einschlafen, bevor es die restliche Nacht dann allein im Zimmer verbringt.
Ein weiteres Beispiel ist der einfühlsame Umgang mit starken Gefühlen. Möglicherweise ist dein Kind wütend, weil es nicht das Spielzeug bekommen hat, das es wollte. Als Eltern zeigt ihr Verständnis, indem ihr eurem Kind erlaubt, seine Gefühle auszudrücken. Ihr helft ihm, die Ursache seiner Wut zu verstehen. Hierzu kommuniziert ihr einfühlsam und respektvoll, anstatt das Kind zu belächeln oder abzuwerten. Ihr lasst euer Kind nicht wütend auf dem Boden liegen, sondern versucht, es in den Arm zu nehmen und zu trösten.
Falls der körperliche Kontakt vom Kind aktuell nicht zugelassen wird, versucht ihr es verbal. „Ich verstehe, dass du gerade wütend bist. Das ist in Ordnung. Deine Gefühle dürfen raus. Ich bleibe an deiner Seite. Falls du gleich eine Umarmung möchtest, bin ich da.“
Fazit: Wie gelingt die Umsetzung der Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung am besten?
Wir können aus Erfahrung sagen, dass ein respektvoller, empathischer Umgang mit den Bedürfnissen der Kinder nicht immer einfach ist. Der Hauptgrund, warum die Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung im Familienalltag untergehen, ist Stress. Zu viele Aufgaben, Zeitdruck und manchmal auch Kraftlosigkeit nach einer möglicherweise kurzen Nacht sorgen dafür, dass du in den Überlebensmodus gerätst. Hier agierst du häufig nach altbekannten Erziehungsmustern, wie du sie selbst in deiner Kindheit erlebt hast. Da die wenigsten von uns nach den Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung aufgewachsen sind, werden dabei oft instinktiv autoritäre Erziehungsmuster angewendet.
Falls es dir auch so geht, solltest du dich hierfür nicht verurteilen. Allein die Tatsache, dass du dich mit den Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung auseinandersetzt, zeigt, dass du Dinge verändern möchtest. Und genau das braucht oft Zeit. Deine Gewohnheiten müssen sich erst neu bilden, was Wochen, Monate und manchmal sogar Jahre dauert. Wichtig ist, dass du den Weg anfängst zu gehen.
Versuche, die Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung zunächst in stressfreien Situationen anzuwenden. Übe also dann, wenn es ruhig ist und du dich gut fühlst. Mit der Zeit wirst du auch in stressigen Momenten auf die Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung zurückgreifen und diese anwenden können.
Wie sind deine Erfahrungen zu den Regeln der bedürfnisorientierten Erziehung? Hast du weitere Tipps oder Fragen zur Umsetzung? Oder gibt es Punkte, die du ergänzen möchtest? Dann nutze hierfür gerne das Kommentarfeld unter dem Beitrag.
Alles Liebe und eine schöne Familienzeit wünschen dir
Jenny & Christian
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